Von meinem Arbeitsplatz aus beobachtete ich schon seit einigen Tagen eine Amsel. Es hatte immer wieder geschneit und eine Schale mit Vogelfutter stand vor dem Fenster. Jeden Tag kam die selbe Amsel. Ich erkannte sie an ihrem rechten Flügel, den sie ein wenig hängen ließ. Eines Morgens beschloss ich, die Amsel zu zeichnen. Ich griff nach dem Stift.
Als ich den Kopf hob war sie weg. Nach ein paar Minuten war sie wieder da, und diesmal tastete ich nach dem Stift, ohne sie aus den Augen zu lassen. Sie hüpfte herum, pickte nach dem Futter, sprang zur Seite, stellte den Schwanz hoch, schüttelte die Flügel, plusterte sich auf, drehte den Kopf, hüpfte wieder, pickte, flog weg und kam kurz darauf wieder zurück.
Eine blöde Idee, dachte ich, eine Amsel zeichnen zu wollen, die keine Sekunde still hält. Und doch setzte ich immer wieder den Stift aufs Papier, blickte zur Amsel, zog eine Linie, machte ein paar Striche, dann drehte die Amsel den Kopf, und ich musste wieder von vorne anfangen. Das machte ich zwei Vormittage hintereinander. Ich saß am Schreibtisch und arbeitete, hatte aber immer den Futterplatz vor dem Fenster im Blick, um sofort wieder den Stift in die Hand zu nehmen, sobald die Amsel erscheint.
Ich habe die Skizzen gezählt: an zwei Vormittagen habe ich 93 mal die Amsel auf dem Papier festgehalten. 93 mal habe ich die Amsel angeschaut, die Neigung ihres Kopfes bemerkt, die Form des Schnabels betrachtet und die Schönheit ihres Gefieders bewundert. Ich weiß jetzt, wie diese eine Amsel aussieht.
Am nächsten Tag war der Schnee weggetaut und die Amsel kam nicht mehr.
🙂 was fuer eine schufterei,hat sich aber gelohnt!
gruss regido
Hallo Martina,
ich finde Deine Zeichnungen haben etwas bezauberndes. Ich werde auf jeden Fall öfter vorbeischaun.
Viele Grüsse Helen