Die Angst vor dem ersten Strich

Du fühlst Dich zu Papier und Stiften hingezogen. Stundenlang ungestört in einem Schreibwarenladen zu stöbern, nennst du einen gelungenen Nachmittag. Du blätterst gerne in Zeichenlehrbüchern. Manchmal kaufst du eines, nimmst es aber danach nie mehr in die Hand.

Die Vorstellung auf einer Reise alles Sehenswerte und Interessante in einem Skizzenbuch festzuhalten, lässt Dich seufzen: „Ach, das wäre schön.“ Aber die wenigen Male, die Du tatsächlich den Stift auf´s Papier gesetzt hast, kannst du an einer Hand abzählen.

Erkennst du dich in dieser Beschreibung wieder?

Was ist das nur? Du willst zeichnen, Du hast wirklich Lust dazu, aber du tust es nicht.

Die Antwort lautet: Du hast Angst. Du fürchtest Dich vor dem ersten Strich.

Nicht das Zeichnen selbst ist das Beängstigende. Es sind die Gedanken und Vorstellungen, die du übers Zeichnen im Laufe der Zeit angesammelt hast, die dich vor dem Zeichnen immer wieder zurückschrecken lassen.

1. EINE LANDSCHAFT MIT FLUSS UND GEBIRGE IN 10 MINUTEN ODER SCHNELLER.

Du nimmst dir zu viel vor, und das auch noch ungenau.

Wer auf die Schnelle was Hübsches zeichnen will, wie nur mal eben den 180 Grad Panorama-Blick aus dem Fenster, fühlt sich schon erschöpft und überfordert bevor überhaupt der Zeichenblock ausgepackt ist. Man kann ja den schönen Ausblick auch einfach mal so genießen, sagst du dir, und fängst mit dem Zeichnen gar nicht erst an.

Selbstverständlich kann man überall und zu jeder Zeit schnelle Zeichnungen anfertigen. Wenn Du es wirklich eilig hast, triff eine blitzschnelle, aber konkrete Entscheidung, was genau du in dieser kurzen Zeit zeichnen möchtest. Zeichne einen einzelnen Baum vor dem Fenster oder ein einzelnes Dach mit Schornstein, anstatt das ganze Rheintal mit sämtlichen Hügeln und Tälern mal eben auf ein einziges Blatt Papier bringen zu wollen.

2. ZEICHNUNG, ZEICHNUNG AN DER WAND, WELCHE IST DIE SCHÖNSTE IM GANZEN LAND?

„Wenn ich mir jetzt schon die Mühe mache, muss sie aber gaaaanz besonders schön werden, die Zeichnung. Ach je, dann lass ich es lieber gleich.“

Erwischt? Hab´ ich´s mir doch gedacht.

Die „Wenn schon/denn schon“-Einstellung trägt nicht gerade dazu bei, entspannt den Zeichenstift in die Hand zu nehmen.

Wir sind es gewohnt, alles und jeden zu beurteilen, zu vergleichen, zu bewerten und oft genug abzuwerten. Jedes Kind, das auf ein gemaltes Bild eine bewertende Note bekam, hat dadurch was für´s Leben gelernt: Du bist nur gut, wenn du was machst, was andere gut finden.

Oft ist man sich selbst der schärfste und unbarmherzigste Kritiker. Man tut sich schwer, sich der möglichen Schmach, etwas auszuprobieren und möglicherweise dabei zu „versagen“, freiwillig auszusetzen.

Deshalb mal wieder: zeichnen verschoben.

Jeder Mensch will geliebt werden. Wir lernen früh, Liebe und Anerkennung gibt´s oft nur für das, was wir machen, und zwar richtig gut machen, und nicht für das, wer wir sind. Das gefühlte Risiko etwas zu tun, wofür uns keiner liebt, ist groß und das macht große Angst.

An dieser Stelle möchte ich mal wieder mein „trotzdem“ anbringen. Mach´ es trotzdem. Zeichne trotzdem, auch wenn dein besseres Wissen erst mal nicht viel gegen die antrainierten Verlust- und Versagensängste ausrichten kann. Du wirst sehen, wie  w e i t  du damit kommst.

Im Amerikanischen gibt es einen schöne Spruch: „Feel the fear and do it anyway.“

Oder für unsere Anwendung: „Feel the fear and draw it anyway.“

3. ZEICHNEN IST SCHÖN, ABER RICHTIG ZEICHNEN IST DOOF.

Vielleicht ist Dir ja schon mal aufgefallen, dass du, immer wenn du zeichnen möchtest, glaubst, es auf eine bestimmte Weise tun zu müssen. Aber genau das willst du nicht und deshalb entscheidest du dich einmal mehr, doch nicht zu zeichnen.

Immer wieder gibt es Lehrer, Eltern, Großeltern, die ganz genau wissen, was man zu tun und zu lassen hat und dieses vermeintliche Wissen großzügig unter die Menschheit verteilen. Wie z.B. meine Kunstlehrerin in der 10. Klasse: Ich hatte entdeckt, dass sich der Strich eines weichen Bleistifts mit dem Finger zu einer grauen Fläche verwischen läßt. Ich hatte eine Methode gefunden, Schatten darzustellen und ich fand das klasse. Ich zeichnete und wischte fröhlich vor mich hin, bis zu dem Moment, in dem mich diese Kunstlehrerin belehrte, man(!) darf nicht(!) beim Zeichnen wischen. Stattdessen, so erklärte sie mir, solle man ordentlich schraffieren. Ich habe es ihr geglaubt, zehn Jahre lang. Zehn Jahre dachte ich, so wie ich gerne zeichnen würde, sei kein richtiges Zeichnen. Ich liebte es zu zeichnen, aber so wie ich dachte, dass es „richtig“ sei zu zeichnen, fand ich es doof .

4. AUF DIESER WELT GIBT ES WICHTIGERES ALS ZEICHNEN

Glaube ich natürlich keine Sekunde, aber auch diese wohlfeile Meinung wird gerne in Umlauf gebracht, und wenn man nicht aufpasst, glaubt man daran, ohne es zu merken.

Wer unterschwellig glaubt, mit Zeichnen seine Zeit zu verplempern, geht mit deutlich reduziertem Spaß-Faktor ans Werk oder eben überhaupt nicht.

Ich könnte hier noch bis morgen früh darüber schreiben, warum die mit Zeichnen verbrachte Zeit eine sehr nutzbringende ist, aber ich mache es mal (relativ) kurz:

Wer zeichnet, erfindet und erschafft Neues, er denkt neue Gedanken, entwickelt Ideen und macht Entdeckungen. Zeichnen sorgt für einen klaren Blick auf´s Wesentliche, fördert die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und trainiert, Zusammenhänge schnell und präzise zu erkennen.

Hat jetzt etwa noch irgendjemand Zweifel daran, wie wichtig es ist zu zeichnen, für einen selbst und auch für das Gemeinwohl?

Nein? Sehr gut. Was anderes will ich auch nicht mehr hören.

5. FÜR WEN MACHE ICH DAS HIER EIGENTLICH ALLES?

Das ist eine gute Frage, oder? Ich stelle sie noch mal etwas genauer und gleich noch ein paar mehr dazu:

Für wen zeichnest du, wenn du zeichnest?

Wem, glaubst du, sollen deine Zeichnungen gefallen?

Wer entscheidet mit, was du zeichnest?

Wer schaut dir, unsichtbar, beim Zeichnen über die Schulter?

Ich wette, wenn du ehrlich zu dir bist, fallen dir ganz schnell einige Namen ein.

Bei mir z.B. hat jahrelang diese Kunstlehrerin aus der 10.Klasse sofort missbilligend den Kopf geschüttelt, sobald ich auch nur einen Bleistift angeschaut habe. Wenn ich dann doch etwas gezeichnet habe, dann sollte etwas „Richtiges“ und Vorzeigbares, etwas von allen akzeptiertes dabei herauskommen.

Ich zeichnete nicht für mich, ich zeichnete ausschließlich für andere.

Damals habe ich nicht viel gezeichnet. Es war mir einfach zu anstrengend, nur zu zeichnen, um anderen Leuten zu gefallen.

Wie ist das bei dir? Zeichnest Du für andere oder nur für dich selbst?

Ich hoffe, es ist dir inzwischen klar geworden, dass man sich viele Gedanken über das Zeichnen machen kann, die sich alles andere als motivierend auswirken.

Deshalb: Glaube nicht alles, was du denkst. Vor allem glaube nicht alles, was du übers Zeichnen denkst.

Ich wünsche dir viel Freude beim ersten Strich.

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Herzlichen Dank! 🙂

9 Gedanken zu „Die Angst vor dem ersten Strich

    • 🙂 🙂 🙂 Alle smilies dieser Welt 🙂 🙂 🙂 können nicht 🙂 🙂 🙂 zum 🙂 🙂 Ausdruck bringen, 🙂 🙂 🙂 wie sehr 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 ich mich 🙂 🙂 🙂 über Deinen 🙂 🙂 🙂 🙂 Kommentar 🙂 🙂 🙂 freue. 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂

  1. Hallo,

    seit ich „die Angst vorm ersten Strich“ abgelegt habe und sämtliche Zeichenbücher in den Schrank verbannt habe klappt’s auch mit dem Zeichnen.
    Zugucken kann von mir aus wer will, und wenn’s nach nix aussieht, dann kann’s ja nur besser werden *lach*
    Anscheinend macht das jeder mal mit, wenn er mit dem Zeichnen anfängt (und dranbleibt).
    Auf jeden Fall ein dickes Kompliment. Das trifft den Kern der Sache

    Viele Grüße
    Ben

  2. Hallo Martina,
    auch ich verbanne meine Zeichenbücher und meine Angst in den Schrank.
    Tim Ferris hat einen wunderbaren Tipp zum Lernen jeglicher neuer Fähigkeiten:
    1. Aus welchen Elementen besteht es?
    2. Was davon ist wichtig? Was kann weggelassen werden?
    3. In welcher Reihenfolge

    Diese 3 Schritte kann man auch super beim Zeichnen anwenden.

    Viele Grüße,
    David

    • Ist Tim Ferris nicht derjenige, der das 4- Stunden-Buch geschrieben hat? Ich wollte da schon lange mal reinschauen. Beim Zeichnen jedenfalls kann fast alles „weggelassen“ werden und die Reihenfolge ist egal. 🙂

      • ja, Tim Ferris ist der mit der 4-Stunden-Woche, dem 4-Stunden-Körper und dem 4-Stunden-Chef-Koch 🙂 Er bleibt seiner Linie treu.
        Und im Chef-Koch (das eigentlich über das Lernen lernen spricht) erklärt er auch seine Art der Dekonstruktion.

        Er beherrscht die Kunst der 80/20 Regel und die Bücher sind so voller wertvollem Wissen, das ich dann lange verdauen darf. 🙂

        Beim Zeichnen bemühe ich mich auch, Dinge auf das Wesentliche zu reduzieren. Da ich in Trainings live skizziere, ist da nämlich jeder überflüssige Strich eine verlorene Zeit mit dem Publikum.

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