In den ersten Jahren meines Zeichnens nahm ich an vielen Zeichenkursen teil. Sehr schnell fiel mir dabei etwas auf: Obwohl die meisten Teilnehmer dieser Kurse mit großem Enthusiasmus dabei waren, gingen nach dem Ende der Zeichenstunde mindestens genauso viele frustriert und mit hängenden Köpfen nach Hause.
Unzufriedenheit mit sich selbst und den Zeichen-Ergebnissen war an der Tagesordnung. Bei vielen war die Freude am Zeichnen überschattet von dem nagenden Gefühl, nicht gut genug zu sein und, mal wieder, keine Fortschritte im Zeichnen gemacht zu haben.
Mir ging es auch so und lange Zeit dachte ich, das müsste so sein. Wenn man etwas Schwieriges beginnt, so sagte ich mir, dann hat man eben auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen.
Der Wendepunkt kam, als ich eines Tages, wie es üblich war, der Zeichenklasse einige meiner Arbeiten zur gemeinsamen Besprechung vorlegte. Ich erzählte, dass ich die Technik, die ich angewendet hatte, zeichnen mit Pinsel und Farbe, nicht besonders mochte und dass ich mich damit nicht wohl fühlte.
„Wie bitte?“ rief einer der Teilnehmer, „du willst Kunst machen, du willst zeichnen UND dich auch noch dabei wohlfühlen?“ Er schüttelte entsetzt den Kopf. „Das geht nicht.“
Ich dachte, mir schlägt einer ein Brett auf den Kopf, denn in diesem Moment wachte ich auf. Genau das war es. Das war der Grund, warum alle Zeichner und alle anderen Künstler, die ich kannte, mehr oder weniger unzufrieden, wenn nicht gar unglücklich waren. Sie waren aus tiefster Seele davon überzeugt, wer etwas Besonderes und vor allem etwas Anerkennenswertes schaffen will, muss leiden. Wahre Kunst erschaffen, so glaubten sie, gibt es nicht umsonst.
Ich begann, mich von den gängigen Vorstellungen übers Zeichnen und vor allem übers Zeichnen „können“, zu lösen. Es hat keinen Sinn zeichnen zu üben und zu üben und zu üben, nur um eines Tages vermeintlich großartig zeichnen zu können, um von Menschen, die einem womöglich noch nicht mal so viel bedeuten, für seine Zeichenfähigkeit bewundert zu werden. Es hat keinen Sinn zu zeichnen, nur um sich mit anderen Zeichnern zu vergleichen und sich mehr oder weniger ständig schlecht zu fühlen, weil man glaubt, diesem Vergleich nicht standhalten zu können.
An diesem selbstquälerischen Spiel wollte ich nicht mehr teilnehmen.
Ich liebte das Zeichnen zu sehr, als dass ich es dazu missbrauchen wollte, mir damit ständig selbst vor Augen zu führen, wie ungenügend ich war.
Mir war klar geworden, dass Zeichnen so viel mehr ist als „richtig zeichnen“ oder „falsch zeichnen“, und viel mehr als einfach nur „gut zeichnen“. Gerade deshalb nenne ich die Zeichenübungen, die ich hier auf meinem Blog vorstelle „richtig gute“ Zeichenübungen. Ich will diese Wörter, die ständig im Zusammenhang mit Zeichnen genannt werden, mit neuen Inhalten füllen.
„Gut zeichnen“ bedeutet nämlich nicht so zu zeichnen, dass es irgendeinem, von außen angelegten Maßstab genügt, sondern „gut zeichnen“ bzw. „richtig gut zeichnen“ bedeutet, sich richtig gut zu FÜHLEN beim Zeichnen, an der Entwicklung seiner eigenen Fähigkeiten Freude zu haben und jede einzelne seiner eigenen Zeichnungen mit Respekt und Stolz zu betrachten.
Gerade lese ich von Carol Dweck „Selbstbild“ (nicht besonders gut geschrieben oder übersetzt, doch interessant). Die Autorin ist Psychologin und hat bei ihren Studien festgestellt, dass es ein „statisches“ und ein „dynamisches“ Selbstbild gibt. Bei ersterem gibt es nur gut/schlecht, richtig/falsch, talentiert/untalentiert. Bei zweiterem wird nur geschaut, wo stehe ich gerade und ich kann und DARF mich jederzeit weiterentwickeln, ich arbeite dran. Was ich wirklich erschütternd fand, ist, das Lob Menschen statisch werden lassen kann: Sagt jemand, du hast Talent, bekommst du Angst, beim nächsten Mal zu enttäuschen – da ist er wieder, der Blick von außen. Freude an der Entwicklung, am Lern- oder bei dir Zeichenprozess, zu vermitteln ist daher das, was nährt. Ich find toll, was du machst!
Einmal mehr: Bingo!
Ich habe dieses Buch auch gelesen (wie wahrscheinlich ist das denn????) und ich bin froh, dass Du mich an diesen Zusammenhang von Lob und der Angst, danach zu enttäuschen, bei Menschen mit einem statischen Selbstbild, erinnert hast. Diese Erkenntnis hat sich nämlich noch nicht sehr weit herum gesprochen und gehört bei der Begleitung von Lernprozessen unbedingt verstanden und berücksichtigt.
Meine Motivation zu dem was ich mache, nährt sich im Prinzip aus der Tatsache, dass
ich es geschafft habe, mich vom statischen Selbstbild hin zum dynamischen Selbstbild zu entwickeln und zu verändern, (auch wenn ich es vor diesem Buch nicht hätte
so formulieren können), und nun möchte ich es anderen Menschen leichter machen, diese Entwicklungsmöglichkeit für sich selbst zu entdecken.
Viele Grüße :-),
Martina
Ich kann Euch beiden da nur zustimmen, ich finde es auch wichtig immer mehr dahin zu kommen mehr Freude am Prozess zu haben,und weniger das Ergebnis im Blick zu haben. Gar nicht so leicht…..aber Deine Texte helfen da sehr….war das jetzt schon loben? Wie definiert Ihr loben, gehören anerkennende Worte, Feedback geben dazu? Aber wie findet dann Austausch statt?
viele Grüsse
Helen
Danke für Dein Lob, liebe Helen. 🙂
Es ist ganz wichtig, dass wir uns gegenseitig unsere Anerkennung und Wertschätzung ganz deutlich zum Ausdruck bringen.
Carol Dweck unterscheidet zwischen zwei Typen von „Selbstbild“, dem statischen und dem dynamischen. Diejenigen, die ihr eigenes Wesen und ihre Fähigkeiten als „statisch“ sehen, erleben das Lob oder eben das nicht Erhalten von Lob bzw. Erfolg oder nicht Erfolg, als absoluten Wertmaßstab ihrer Bemühungen, da sie glauben, sie selbst könnten sich nicht weiter entwickeln. Sie denken, entweder kann ich etwas oder ich kann es nicht. Basta. Wenn so ein „statischer Typ“ Lob erfährt, bekommt er Angst, es beim nächsten Mal nicht zu erlangen und andere und sich selbst zu enttäuschen, weil er nicht das Gefühl hat, seine eigenen Fähigkeiten und die daraus folgenden Ergebnisse tatsächlich beeinflussen zu können. So geschieht es oft, dass Menschen mit einem solchen „statischen“ Selbstbild, sich nichts zutrauen, weil sie Angst haben, jedes Ergebnis Ihrer Arbeit (Lob oder nicht Lob oder auch vernichtende Selbstkritik) ist die abschließende, für immer gültige Bewertung.
Für Menschen mit einem „dynamischen“ Selbstbild hingegen ist nichts in Stein gemeißelt. Sie gehen davon aus, dass sie immer dazu lernen können, dass sie sich stets verändern können. Sie verstehen Rückschläge nicht als vernichtende Urteile, sondern als Motivation, es beim nächsten Mal anders zu machen und Neues auszuprobieren.
Kurz gesagt: Der statische Typ glaubt, er könne nicht Neues lernen, er ist so wie er ist.
Der dynamische Typ geht prinzipiell davon aus, dass er ständig Neues lernt, und er sich
stets weiterentwickelt.
Deinem Beitrag und den Kommentaren ist nichts mehr hinzuzufügen. Ich zähle mich auch zur dynamischen Fraktion, und kann mit dem statischen Typ nach relativ kurzer Zeit nichts mehr gescheites anfangen
Hallo Reinhard,
vielen Dank für Deinen Kommentar.
Ich will hier ganz deutlich sagen, dass ich den „statischen“ Typ NICHT negativ bewerte.
Ganz im Gegeteil: Ich habe großes Verständnis für diese innere Haltung. Mir liegt sehr viel daran, Menschen zu zeigen, wie schön es ist, wenn man darauf vertrauen kann, dass man sich immer weiter entwickelt, und, wenn man sich dafür entscheidet, auch noch mit viel Freude. Dann gerät alles ins Fließen und wird „dynamisch“.
„Es hat keinen Sinn zeichnen zu üben und zu üben und zu üben, nur um eines Tages vermeintlich großartig zeichnen zu können, um von Menschen, die einem womöglich noch nicht mal so viel bedeuten, für seine Zeichenfähigkeit bewundert zu werden. Es hat keinen Sinn zu zeichnen, nur um sich mit anderen Zeichnern zu vergleichen und sich mehr oder weniger ständig schlecht zu fühlen, weil man glaubt, diesem Vergleich nicht standhalten zu können. An diesem selbstquälerischen Spiel wollte ich nicht mehr teilnehmen.“
Wie wahr, trotzdem fällt es mir doch häufig noch schwer diese Haltung zu verinnerlichen und wirklich ausschließlich für mich zu zeichnen. Manchmal klappt es, oft leider nicht … Na ja, ich bleibe dran 😉
Hallo liebe Alex,
zu: „ausschließlich für sich zeichnen“.
Im Prinzip macht man immer alles „ausschließlich für sich“. Wenn man nicht ausschließlich für sich zeichnet, sondern mehr oder weniger unbewußt immer für andere, macht man das, weil man „ausschließlich für sich“ von anderen geschätzt werden will.
Der Knackpunkt hier ist, dass man nicht zeichnet, um zu zeichnen, sondern zeichnet, um (positiv) bewertet werden zu wollen. Die Intention des Zeichnens ist verschoben von „zeichnen“ zu „positiv bewertet werden wollen“.
„Zeichnen wollen“ und „positiv bewertet werden wollen“ sind miteinander verschmolzen, deshalb gelingt es nicht so einfach „nur für sich“ zu zeichnen.
Versuche doch einfach mal eine Weile ein persönliches Zeichen-Tagebuch zu führen genau so wie ein geschriebenes persönliches Tagebuch führen würdest. Deine geschriebenen Tagebuch-Aufzeichnungen würdest du niemals jemandem zeigen, deshalb fühlst du dich frei, alles unzensiert festzuhalten. Wenn du jedoch wüßtest, alles, was du schreibst, würde von anderen gelesen werden, würdest du nur auf eine sehr bestimmte Weise schreiben, weil du das, was die Leser über dich denken, beeinflussen möchtest. Genauso ist es beim Zeichnen. Wenn du nur für dich zeichnen möchtest, dann zeichne mal tatsächlich ausschließlich für dich und mache Zeichnungen, die du niemals irgendjemandem freiwillig und unter keinen Umständen zeigen würdest, genauso wie du niemals irgendjemanden deine privaten Gedanken lesen lassen würdest.