Wir hatten dieses Bild jetzt schon zum x-ten Mal angeschaut.
Seit einigen Wochen brachte sie das Bild jeden Dienstag in den Zeichenunterricht, um sich mit dem Zeichenlehrer und den anderen Zeichenschülern zu beraten, was an dem Bild noch getan werden müsse, damit es ein sehr gutes Bild werde.
Es war ein kleines Format, nicht größer als vielleicht 30 x 40 cm, eine Kopie eines Stilleben von Cezanne und es sollte ein Geschenk für ihre Tante sein.
Alle sagten ihr zum x-ten Mal, dass dieses Bild sehr gut sei, so wie es ist. Wie versicherten ihr, sie müsse nichts mehr daran tun, es sei fertig, und ja, sie könne es ihrer Tante schenken.
Die Malerin des Bildes biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf. Sie konnte sich unserem Urteil nicht anschließen. Sicher müsse es da noch etwas zu verbessern geben. Sie deutete auf einen Apfel und sagte:
„Sieht der wirklich richtig aus, so wie der von Cezanne?“
Wir – das waren fast alle ihre Mitschüler in der Zeichenklasse – hatten ihr die Wahrheit gesagt. Das Bild war eine gut gelungene Kopie. Es war mit feinsten Pinselstrichen in Öl gemalt und die Farbnuancen glichen der Vorlage nahezu perfekt.
Warum nur, fragten wir uns, konnte sie das nicht sehen. Wir alle sahen es. Wir sagten es ihr, aber sie ließ sich durch nichts überzeugen, weder von ihren eigenen Augen noch von unseren Worten.
Das Bild hatte nie die Chance ein gutes Bild zu werden, denn seine Malerin konnte es von Anfang an nicht ausstehen. Sie hatte es sich nicht, auch nur für eine Sekunde, erlaubt, mit Lust und Freude daran zu malen. Noch bevor sie es überhaupt begonnen hatte, war es ihr zur Last geworden, denn sie malte es nicht für sich selbst, sondern für andere.
Dieses Bild sollte als Beweisstück dienen. Es sollte durch seine perfekte Ausführung der Tante beweisen, und über diese Tante der ganzen Familie, dass die Malerin mit ihren Bemühungen, sich im Zeichnen und Malen fortzubilden, nicht ihre Zeit verschwendet. Es sollte beweisen, dass der Wunsch der Malerin, sich mit Stiften und Pinseln und Farben kreativ auszudrücken, keine Spinnerei war. Und die Familie würde das endlich begreifen, wenn sie ihnen allen beweisen konnte, wie gut sie darin war.
Ich hatte mich oft mit dieser Malerin unterhalten. Sie litt darunter, dass keiner ihrer Angehörigen ihre Ambitionen in der Kunst ernst nahm. Ihre Brüder gaben ihr zu verstehen, wie albern sie das alles fanden.
Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass sie alle gut fanden, was sie machte.
Die eigene künstlerische Arbeit am Kunst-Geschmack und Kunst-Verständnis der Freunde und Familie zu messen, ist ein weit verbreitetes Phänomen, gerade bei Kunstschaffenden, die sich erst später im Leben dafür entscheiden, ihre Kunst zu erlernen und auszuüben.
Viele glauben, sie benötigten eine Art Erlaubnis, um sich kreativ ausdrücken zu dürfen, besonders wenn sie keinen offiziell anerkannten Abschluss in einem künstlerischen Beruf haben.
Die Selbstzweifel sind oft überwältigend und man wünscht sich endlich eine Art Erfolg. Wenigstens die Anerkennung seiner Liebsten soll einem doch wohl gegönnt sein.
In seiner Ver-„zweifel“-ung ist es naheliegend, von den Menschen, die einem am wichtigsten sind, diese Bestätigung und Anerkennung zu erwarten und deren Meinung zum Bewertungsmaßstab seiner eigenen Kunst zu machen.
So kann es geschehen, dass man ausgerechnet Tante Frieda, die nicht gerade für ihren ausgeprägten Kunstsachverstand bekannt ist, um ihre Meinung bittet.
Das führt leider oft dazu, dass wir uns beim Zeichnen, Malen und Gestalten nicht über den Kunsterfahrungshorizont von Tante Frieda hinaus trauen und darauf achten, speziell ihren Erwartungen zu entsprechen.
Die Malerin, die das Bild von Cezanne kopiert hatte, interessierte sich gar nicht für Cezanne, aber sie war sich sicher, dass ihre Tante von diesem berühmten Maler schon mal etwas gehört hatte. Und wem, bitte schön, würde nicht ein Bild von schönen, roten Äpfeln gefallen?
Fast jeder von uns hat so eine „Tante Frieda“, auch wenn es sich dabei eher selten um die echte Tante handelt. Manchmal ist Tante Frieda ein Elternteil oder der Lebensgefährte oder die beste Freundin.
Meine „Tante Frieda“ sagte mir mal vor vielen Jahren mit hörbarer Erleichterung in der Stimme, als ich ihr eine gegenständliche Zeichnung zeigte: „Ach, da bin ich aber froh. Jetzt kann man wenigstens sehen, dass Du doch etwas kannst.“
Kurz zuvor hatte ich ihr einige abstrakte Arbeiten in Acryl präsentiert und sie, aus den oben genannten Gründen, um ihre Meinung gebeten, selbstverständlich in der Hoffnung enthusiastische Lobeshymnen zu hören.
Allerdings verursachte ihr der Anblick meiner Bilder große Pein. Sie ließ mich wissen, dass ich mich ganz sicher zum Narren machte, wenn ich mich tatsächlich, wie von mir geplant, mit diesen Arbeiten um eine Ausstellung bewerben würde.
Auch wenn sich das jetzt so anhört, war meine Tante Frieda kein gemeiner Mensch. Im Gegenteil, sie sorgte sich aufrichtig um mich und sie wollte mich nur vor einer schmerzhaften Enttäuschung bewahren.
Wer sich künstlerisch betätigt, ob mit beruflichen Ambitionen oder nicht, kommt irgendwann einmal an den Rand des von der Allgemeinheit Geschätzten und Verstandenen und muss sich früher oder später dazu entschließen, diese Grenze zu überschreiten.
Ängste und Zweifel sind im Lieferumfang enthalten. Mal kann man besser damit umgehen, mal weniger gut.
Aber ganz gewiss tut man sich selbst und seinen Liebsten keinen Gefallen, wenn man Erwartungen an sie stellt, die sie nicht erfüllen können.
Oh, wie gut ich das kenne! Sobald man anfängt , jemanden beeindrucken zu wollen, ist das übel schon da! Bei mir ist es oft der Lehrer(in), an deren Meinung mir viel liegt und je mehr ich versuche, diesen Meinungen zu entsprechen, desto verkrampfter werde ich.
Auch sehe ich es an meinen Mitmalereinnen, wie unzufrieden sie oft mit ihren Werken sind und ich selber empfinde sie als sehr gelungen. Das ist manchmal ein richtiges Drama, und man kann den anderen oder auch sich selbst nicht von seinem Können überzeugen!
Mit zuversichtlichen Grüßen
Karin
Einer der Gründe, warum das so ist, ist die Tatsache, dass es so viel einfacher ist, mit sich selbst bzw. mit seiner Arbeit UN-zufrieden zu sein. Um unzufrieden zu sein, muss man nichts „tun“, das geht immer.
Aber sich mit sich selbst so auseinanderzusetzen, dass man mit sich und seiner Arbeit klar kommt und zu-FRIEDEN ist, bedarf es einer bewussten inneren Haltung, an der man arbeiten muss. Kunst machen ist immer äußere Arbeit und innere Arbeit.
Ich freue mich, dass Deine Grüße zuversichtlich sind, Karin, dass heißt, Du arbeitest auch „innerlich“. 🙂
Herzliche Grüße von mir,
Martina
Ja, Martina, das ist wahr, Es ist eine innere Einstellung das Zufriedensein sowie das Glück auch. Erst wenn man mit dem Ergebnis zufrieden ist, kann man sich auch weiter entwickeln – vorwärts entwickeln…..
Wie wahr Martina! Ich habe auch gelernt ueber meinen eigenen Schatten zu springen und mich ehrlich zu freuen wenn ich das Gefuehl habe , dass mir etwas besonders gut gelungen ist. Ich male und zeichne um mir selber eine Freude zu machen und auch andere daran teilhaben zu lassen. Tante Frieda hin oder her! Nur das gibt mir den Ansporn ein neues Projekt anzugehen. Manchmal gelingts….manchmal auch nicht.
Malen befriedigt, macht gluecklich und froh!
Ja, ja und noch mal ja, liebe Rosemarie: malen macht glücklich!!!! 🙂