Vor vielen Jahren, als ich noch nicht wusste, dass mein Spezialgebiet das Zeichnen sein würde, meldete ich mich für einen Aquarellkurs an.
Mit ein paar einfachen Pinseln, einem geschenkten Farbkasten und einem ziemlich teuren Aquarellblock setzte ich mich in der Malschule an einen Tisch und wartete.
Ich wartete darauf von der Kursleiterin zu hören, wie man Aquarelle malt.
Ich wartete vergeblich.
Stattdessen bekam ich, wie alle anderen Anwesenden, einen kleinen Spiegel in die Hand gedrückt mit der Anweisung, ein Selbstporträt zu malen.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Hatte ich etwas nicht mitbekommen?
Ich wischte den nassen Pinsel über das rote Farbnäpfchen und schaute abwechselnd in den Spiegel und auf das weiße Papier, das vor mir lag. Mit meinem tropfenden Pinsel fühlte ich mich so hilflos, als hätte man mich damit losgeschickt, die Sixtinische Kapelle zu bemalen.
Ich drückte den Pinsel auf einem zerknüllten Küchenkrepp aus, das sofort in hellem Rot erblühte. Am liebsten hätte ich laut gesagt: „Hallo? Kann mir bitte mal jemand sagen, wie es jetzt weitergeht?“ Aber das traute ich mich nicht, denn die Anderen wusste offenbar, was zu tun war. Sie malten schon längst.
Einfach so, als wäre es gar nichts.
Was wussten sie, das ich nicht wusste?
Schließlich, nur um etwas zu tun, begann ich auch zu malen, aber nur so, wie ich halt malen konnte, irgendwie eben.
Zwei rote Flecken für meine Backen und zwei blaue – ups – Wasserlachen für mein Augen, die ich sofort mit einem Lappen trocknete.
„Sieht so etwas feine Aquarellkunst aus?“fragte ich mich. „Darf man das, die Farbe mit einem Lappen aufwischen?“
Ich war froh, als die Stunde zu Ende war und ich mein verkleckstes Bild wegwerfen konnte. Danach bin ich nur noch ein Mal in diesen Kurs gegangen und dann nie wieder.
Ich fühlte mich allein gelassen und ich wusste nicht, woran ich mich halten sollte. Ich wollte nichts verkehrt machen. Alles, was ich tat, Farben irgendwie aufs Papier tropfen lassen und zu mischen, schien mir beliebig und ich wusste nicht, wohin mich das führen sollte.
Oft hatte ich gehört, dass es nicht einfach sei, sich künstlerisch zu betätigen. Man könne sich nie sicher sein, das Richtige zu tun. Wenn man z.B. eine neue Technik ausprobiert oder einer Idee oder Eingebung folgt, so hieß es, könnte es sein, dass man Umwege in Kauf nehmen müsse, nur um am Ende zu merken, dass man in die falsche Richtung gelaufen war und man weiter entfernt war von seinem Ziel Kunst zu schaffen, als je zuvor.
Dieser Gedanke erschreckte mich. Ich wollte mich nicht ständig unsicher fühlen und alles, was ich tat hinterfragen und an mir zweifeln. Der Weg, auf den ich da geschickt wurde, war scheinbar voller Fallstricke und Abzweigungen, die sich jederzeit als Sackgassen erweisen konnten.
Ich kannte viele, die auf diesem Weg schon ver-zweifelt waren, die mit sich und ihrem Material kämpften, nur weil sie unbedingt vermeiden wollten, in ihrem künstlerischen Streben als flach und anspruchslos zu gelten.
Da wollte ich nicht hin. Diesen Weg wollte ich nicht gehen, Ich wollte lieber Regeln und Anweisungen bekommen und einem vorgegebenem Weg folgen. Ich wollte 100 Prozent sicher sein zu wissen, wie man Kunst macht, noch bevor ich überhaupt mit dem Kunst machen anfing.
Aber jeder muss seinen eigenen Weg finden, muss probieren, spielen, sich umschauen und sich inspirieren lassen. Keiner kann einem sagen, wie der eigene Weg zu gehen ist, kein Buch, kein Workshop, kein Lehrer.
Um tatsächlich irgendwo anzukommen, etwas zu schaffen oder zu erreichen, darf man nicht in die Gedanken-Falle tappen, unbedingt irgendwo ankommen zu MÜSSEN, etwas Besonderes zu schaffen oder erreichen zu MÜSSEN.
Nur der eigene Weg ist das Ziel und der Lehrer.
Und der einzige zuverlässige Wegweiser, der einem immer, immer, immer die richtige Richtung weist, ist die eigene Freude.
Keine Unzufriedenheit auf der Welt, kein einziger Selbstzweifel, kein quälender Kampf mit dem Material, bringt einen Künstler auch nur ein Stück voran. Im Gegenteil, mit dieser Einstellung zu seiner Arbeit erschafft man sich einen emotionalen Morast, in dem man stecken bleibt.
Wenn man seine Freude aus den Augen verliert, sie nicht mehr fühlen kann, bedeutet das nicht, dass man auf dem falschen Weg ist, man ist dann auf gar keinem Weg.
Es ist die innere Zufriedenheit und Akzeptanz, das Einverstanden sein mit dem, was einem im Moment gerade gelingt oder auch nicht gelingt, das es einem ermöglicht, offen, hellwach und beweglich zu bleiben, um immer wieder neue Möglichkeiten zu entdecken.
Man kleckst und lernt vom Klecksen, man probiert eine neue Technik aus und lernt von dieser neuen Technik, man gibt diese Technik auf und lernt davon, diese Technik aufgegeben zu haben.
Der eigene Weg entsteht unter den eigenen Füßen.
Beim künstlerischen Arbeiten gibt es keine Regeln, außer einer einzigen.
Sie lautet:
Nichts, was ich in diesem Moment tun könnte ist falsch und alles, was ich in diesem Moment tue, ist richtig.
Das gilt sicher nicht für Automechaniker oder Gehirnchirurgen, aber für Künstler ist sie die einzige Regel, der es zu folgen gilt, um geistig gesund zu bleiben und jeden Tag mit Freude und Enthusiasmus zu arbeiten.
Nichts, was ich in diesem Moment tun könnte ist falsch und alles, was ich in diesem Moment tue, ist richtig.
Zu jedem Zeitpunkt seines Lebens befindet man sich am exakt richtigen Ort, um loszugehen und alles, was man gerade hat und was man gerade kann ist mehr als genug, um damit weiterzumachen. Für welchen Weg, für welche Abzweigung man auch immer sich entscheidet, es wird immer die richtige Entscheidung sein, denn alles, was einem auf seinem Weg begegnet bereichert und führt zu Neuem.
Wenn man so ganz alleine und ohne Anleitung was zu Papier bringen möchte, dann ist das schon ganz schön schwer. Da schlägt die Selbstkritik gnadenlos zu.
Ich habe persönlich die Erfahrung gemacht, dass ein bischen Anleitung, das Zeichnen in der Gruppe und besonders die nachfolgende gemeinsame Besprechung des Geschaffenen ziemlich hiflreich ist.
Da wird die Kritik von der Einsicht geleitet, dass man es ja auch nicht besser kann 🙂
Dann fällt auch das Loslassen leichter. Und nur wer loslässt kann auch losgehen.
Liebe Grüße aus dem Ländle
Ben
Schon wieder so ein Aufschreib-Satz: „Nur wer loslässt kann auch losgehen.“
Den stopfe ich mir jetzt in meine Tasche und gehe los in diesen Tag. 🙂
Aber abgesehen davon: ich bin der Überzeugung, dass beim Zeichnen der Bewusstseins-Schwerpunkt verlegt werden muss von dem „End-Produkt Zeichnung“ hin zum „Prozess des Zeichnens“. Die innere (und äußere Kritik) hat dann keine Angriffsfläche mehr und beißt ins Leere.
Deshalb: Besprechung in der Gruppe: ja, aber eher im Sinne eines Erfahrungsaustausches als ein Besprechen der eigentlichen Zeichnungen. Am Ende läuft es dann nämlich doch wieder auf das Prinzip „Bewertung“ hinaus, ein anderes Wort für Kritik.
Der Geist des Wettbewerbs, im Sinne von besser können oder nicht, muss endlich,
übrigens nicht nur beim Zeichnen, überwunden werden.
Viele Grüße,
Martina