Immer, bevor man beginnt zu zeichnen, muss man ins Leere springen, mit dem Stift in der Hand auf das leere Papier.
Und um zu springen braucht man Mut, denn kein Mensch kann voraussagen, wo man landen wird.
Sobald man gesprungen ist, glaubt man keine Fehler mehr machen zu dürfen, damit die Landung nicht zum Desaster wird.
Wenn man nicht aufpasst, könnte es nämlich geschehen, dass man sich furchtbar blamiert: vor sich und vor tausend anderen.
Auch wenn der Verstand weiß, dass die Zeichnung, die man gerade zeichnet, nie auch nur irgend jemand zu Gesicht bekommen wird, bringt das Zeichnen an sich immer das Gefühl mit sich, etwas „öffentlich“ zu tun. Man „veröffentlicht“ etwas aus seinem Inneren hinaus aufs Papier.
Und egal, ob jemandem tatsächlich beim Zeichnen zuschaut oder nicht, ein bisschen fühlt es sich immer so an, als schaue einem eine Menge Leute dabei über die Schulter. Sobald man den Zeichenstift in die Hand nimmt, versammeln sich all diejenigen um das Zeichenblatt herum, vor denen man, wann immer es geht, gut dastehen will, und die, so fühlt es sich an, warten nur darauf, dass man es so richtig verbockt.
Man hat es also nicht nur mit der eigenen Selbstkritik zu tun, sondern es sitzt einem auch noch die befürchtete Kritik von wer weiß wem nicht alles im Nacken.
Wenn man sich diesem ganzen Gefühls- und Gedanken-Durcheinander bewusst wird, wenn man einigermaßen mitbekommt, was in einem vorgeht, wenn man sich ans Zeichnen macht, kann man sich auch bewußt davon befreien.
Eine Möglichkeit, den Anspruch, dass jede Zeichnung ein Knaller werden muss, loszuwerden, ist:
Absichtlich und mit vollem Karacho FALSCH zeichnen. Sich keine Gedanken mehr machen, wo oben und unten ist, sondern sich „bemühen“ auf jede nur erdenkliche Weise absichtlich daneben zu hauen – so falsch zeichnen, dass es schon weh tut.
Was dann passiert?
Sämtliche Kritiker gehen nach Hause, denn es gibt nichts mehr zu beurteilen. Für bekennende Falsch-Zeichner interessieren sie sich nicht. Die Kritiker wollen nur diese ängstlichen Richtigmacher zerfleischen, die zittern und zagen, diejenigen, denen es so richtig weh tut.
Endlich sind deine Lust und deine Freude am Zeichnen wieder frei!
Wenn diese beiden, deine Lust und deine Freude, wieder machen können was sie wollen, ohne auf deine mimosenhaften Befürchtungen und Ängste Rücksicht nehmen zu müssen, und du ihnen nicht mehr im Weg stehst, dann endlich können die „richtigen“, die wundervollen Zeichnungen entstehen. Die Zeichnungen, wie du sie dir nie vorstellen konntest und dir auch nie vorstellen können wirst, bevor sie tatsächlich entstanden sind.
Ganz genau so ist es! Und es ist oft schon viel geholfen, wenn wir die Überwindung der inneren Mäkelei als einen Aspekt (vielleicht sogar als eine Herausforderung) des kreativen Prozesses begreifen. Schön, wie du das beschrieben hast. Ich kenne mich ja eher mit der schreibenden Variante aus – und das funktioniert das extra FALSCH schreiben auch, wenn man sich etwa vornimmt einmal wirklich, aber wirklich richtig kitschig zu schreiben. Macht Spaß und oft zeigt sich, dass das, was wir „zurückhalten“ gar nicht so schlimm kitschig ist … Grüße! Jutta
Ja, das trifft es wohl, wir „halten zurück“ und strengen uns stattdessen an. Hier sind wir mal wieder bei der Mühelosigkeit. Mühelos alles falsch machen, gelingt immer. Aber trauen muss man sich halt. 🙂
Großartiger Artikel !!! Hiermit hast du meine Vorbestellung, sollte es mal ein Buch geben !!! 😊
Ist notiert! 😉 Danke für den Zuspruch. Kann ich gut gebrauchen.
toll, wie du das beschreibst, werde ich beherzigen und fürs Irgendwannmalbuch melde ich mich auch gleich an
Wow, klasse, die zweite Bestellung! Danke. Jetzt muss ich mich aber ranhalten mit dem Schreiben. 🙂
Herzliche Grüße,
Martina