Nein. Ich fang´ noch mal von vorne an.
Ich möchte….
Ach, was, das ist auch nicht gut.
Ich denke, ich will sagen….
Nein, halt. Ich mach´ es doch anders.
Liest da noch jemand, oder sind schon alle weg?
Ich jedenfalls würde einen Text, der so beginnt wie dieser hier, nicht lesen.
Offenbar weiß die Schreiberin nicht, was sie sagen will. Sie ist unsicher und nimmt jeden Satz, den sie beginnt sofort wieder zurück.
Jetzt stell dir mal vor, jemand würde auf diese Art eine Rede halten. Nach jedem Satz würde der Redner sagen, ach halt, das habe ich ja gar nicht so gemeint. Ich will es anders formulieren, nämlich so….
Und kurz darauf sagt er, ach nein, auch das scheint mir nicht treffend. Was halten Sie von folgender Formulierung? Und so weiter.
Das wäre kaum auszuhalten, oder?
Nicht nur würden die Zuhörer sofort jegliches Vertrauen in des Redners Kompetenz verlieren, auch der Redner würde sich nach kurzer Zeit nicht mehr trauen den Mund aufzumachen, da er ja selbst keinem seiner eigenen Worte über den Weg traut. Bald würde er nie mehr irgendwas laut aussprechen wollen.
Wenn man beim Zeichnen einen Radiergummi benutzt und immer wieder die Linien, die einem nicht gefallen, weil sie angeblich nicht treffend genug sind, sofort wieder ausradiert, verhält man sich genauso wie dieser Redner.
Schon nach kurzer Zeit traut man keiner seiner eigenen Linien mehr, beäugt sie kritisch, zweifelt sie an, will sie mit dem Radiergummi ungeschehen machen.
Eine gezeichnete Linie kann man aber nicht ungeschehen machen, man kann höchstens versuchen, sie zu „vertuschen“ und sie ausradieren (meistens mit häßlichen Spuren auf dem Papier).
Wer sich nicht nur mit Papier und Bleistift, sondern auch mit einem Radiergummi in Reichweite ans Zeichnen macht, vermittelt sich selbst eine sehr klare Botschaft:
– Ich will gar nicht wirklich zeichnen. Ich will am Ende nur eine perfekte Zeichnung vorweisen können und ich muss mit allen Mitteln verhindern, dass man meiner Zeichnung ansieht, dass ich nicht perfekt zeichnen kann.-
Wer jedoch seine eigenen Linien ständig mit dem Radiergummi bedroht, verdirbt sich die Freude am Prozess des Zeichnens. Er bemerkt gar nicht, dass es das Zeichnen selbst ist, das eine „gute“, das heißt lebendige und seelenvolle Zeichnung hervorbringt und nicht das „irgendwie Hinkriegen“ einer Zeichnung.
Der Radiergummi hilft nicht beim Zeichnen, er verhindert das Zeichnen.
Der Radiergummi verhindert das Entstehen von unerwarteten Einfällen und Zufällen.
Der Radiergummi kann nur zulassen, was schon bekannt ist.
Mit dem Radiergummi kontrolliert und zensiert der Zeichner seine spontane Kreativität und individuelle Ausdruckskraft.
Beim Zeichnen die Kontrolle behalten zu wollen und zu müssen, stammt noch aus einer anderen Zeit und gehört zu einer anderen Anwendung des Zeichnens.
Die zeichnende Hand mit Hilfsgeräten zu kontrollieren und deren Ausführungen zu korrigieren ist ein Relikt aus dem Prä-Computericum. Damals war man auf Hilfsmittel wie Lineal, Zirkel und auf den Einsatz von Radiergummis angewiesen, da man exakte Pläne nur mit der Hand zeichnen konnte.
Obwohl heutzutage Computerprogramme sicherheitsrelevante Fehlerlosigkeit garantieren, hat sich die Anforderung beim Zeichnen grundsätzlich stets korrekt und genau sein zu müssen, bis heute erhalten.
Nach wie vor gilt bei vielen Menschen Fehlerlosigkeit als grundlegendes Bewertungskriterium für eine gute Zeichnung.
Das hängt damit zusammen, dass zwei unterschiedliche Paar Schuhe den selben Namen tragen.
Sowohl das technische Zeichnen wurde und wird ganz allgemein mit „dem“ Zeichnen gleich gesetzt, als auch das kreative und gestaltende Zeichnen.
Deshalb kommt es auch heute noch immer wieder zu solch merkwürdigen Aussagen, wie: Ich kann nicht zeichnen, denn ich kann noch nicht mal eine gerade Linie ziehen.
Die einzige passende Antwort darauf wäre:
Herzlichen Glückwunsch, du bist also keine seelenlose Maschine.
Es zeichnet einen Menschen geradezu aus, dass er eben keine exakt gerade Linie ziehen kann.
Wer ohne den Einsatz eines Radiergummis zeichnet, wird immer eine lebendige und authentische Zeichnung anfertigen.
Wie auch immer der Zeichner sich entscheidet, ob er seine Linien auf dem Papier stehen lässt, wie sie ihm aus dem Stift fließen oder ob er weitere Linien über die vorherigen legt, er wird stets aus voller Seele zeichnen.
Wenn ich das lese, bekomme ich richtig Lust auf improvisieren mit Farben. Und gleich hockt der „innere Kritiker“ im Nacken. Beim musizieren fällt mir dies immer wieder auf. Wenn ich einfach den Tönen ihren Lauf lasse, dann macht mich das glücklich. Sobald ich über die Töne nachdenke, geht etwas verloren. Manchmal kann Technik nun ja auch nicht schaden. Das nicht, aber es bringt den „inneren Ausdruck“ in Schwierigkeiten.
Technik kann nicht schaden, das stimmt. Im Gegenteil. Aber es ist eine Frage der Ausgewogenheit. Manchmal zeichnet man „mit dem Verstand“ und misst aus und probiert aus, dass ergibt dann meistens die weniger interessanten Zeichnungen, und manchmal lässt man sich fallen, übergibt das Zeichnen an die Intuition und erlaubt, dass ensteht, was entstehen will. Wahrscheinlich gilt das auch für die Musik und das Schreiben.
Da frage ich mich nur, was halten Sie davon, wenn man Zeichnungen Skizzierung zu
beginn schon nur mit leicht weg radierten Linien Zeichnet?
Die sogenannten suchenden Linien. ^^
Das der Radiergummi mir zum Feind wird kenne ich aber auch.
Auf der Arbeit muss ich auch oft Skizzen machen. (Baupläne ect.)
Wenn man dann jeden Strich immer wieder überdenken würde, würde man den ganzen Tag dafür brauchen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was genau du meinst. Ich kenne die „suchenden“ Linien, als die, welche man stehenlässt und über die man immer wieder drüberzeichnet. Giacometti, z. B., hat so gearbeitet und hat auf diese Weise atemberaubende Kunstwerke geschaffen.
Zum Radiergummi habe ich ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits möchte ich ja eine natürliche Zeichnung bei der die Linien der Vorzeichnung die Lebendigkeit bringen.
Andererseits wird’s manchmal zu kritzelig und voll.
Wenn ich schnelle skizziere, kann ich den Radiergummi getrost zuhause lassen.
Arbeite ich die Zeichnung aus, kann es schon mal passieren, dass was nicht da ist, wo’s hingehört.
Da muss er dann halt ran: Saubergerubbelt, mit scharfen Kanten und vor allem mit Bedacht 🙂
Grüßle aus dem Süden von Ben
Ja, wenn schon, dann wenigstens mit Bedacht. 🙂
Aber wenn´s zu voll ist, würde ich einfach zur nächsten Zeichnung übergehen und diese eine sein lassen. Es gibt ja keine gesetzlich vorgeschriebene Höchstzahl an Zeichnungen pro Tag, und man muss an der Anzahl der Zeichnungen, die man macht nicht „sparen“. Man kann immer wieder eine neue beginnen.
Ich weiß, es ist nicht immer leicht, eine Zeichnung loszulassen, wenn man zu weit gegangen ist und man will ja schließlich etwas haben für seine investierte Zeit und Arbeit und man neigt mt kleinen Tricks noch was rauszuholen.
Aber auch wenn nach viel Zeichenarbeit am Ende nichts Umwerfendes entstanden ist, hat man doch trotzdem wertvolle Zeichen-Erfahrungen gemacht. Nicht ein einziges Blatt, das man zeichnet, ist vergeblich gezeichnet, selbst die nicht, die in der Tonne landen.
Eim guter Ansatz, das muss man Dir lassen. An Papiermangel leiden wir wahrlich nicht, zumindest nicht mehr seit der Erfindung des „papierlosen Büros“, da muss keiner sparen.
Mit den Stiften, die bei mir zuhause rumfahren könnte ich vermutlich ’ne Linie bis zum Andromeda-Nebel ziehen.
Also werde ich in Zukunft das nicht ganz so Umwerfende auch mal weg- und mich an eine neue Zeichnung dranwerfen. Schließlich lernt man Zeichnen mit zeichnen und nicht mit radieren, oder?
Es verbleibt mit Grüßlen aus dem Süden
Ben
Hach. Das war mal wieder top beschrieben. Ich habs eh nich mit Radiergummi, genau genommen kam ich noch nie auf die Idee, ihn zu benutzen. Aber was ich weiß ist – ich versuche mich grad an Tusche – da gibts kein radieren. Und was passiert? In Ermangelung konkreter Zeichenpläne mache ich einfach einen Farbtupfer Nass in Nass/Aquarell, schaue was da so läuft und ob sich mir irgendwas zeigt. Jedesmal denke ich, das gibt nix. Und jedesmal ist da auf einmal – na, was ist das denn? Das ist doch eine Qualle, oder ein Zwerg, nein, ich glaub, das ist… ach ich mach mal einen kleinen Tuschestrich – oh- das sieht ja schön aus, also da könnt ich doch jetzt auch noch … naja. Und irgendwann schau ich auf die Uhr, zwei Stunden rum, draußen ist es inzwischen dunkel und ich hab gar nix mitbekommen… und mein Gibt-nix-Bildchen ist fertig.
Ja, das ist zeichnen aus voller Seele. Schön.
Ja. Und wann machen wir jetzt den Workshop mit dem freien Zeichnen von Musikern? 🙂 🙂 🙂
Unsere Kommentare haben sich im Moment überkreuzt. Auf der anderen Seite habe ich dir gerade geschrieben, dass ich in den Museen das „freie“ Zeichnen vermittle, halt ohne Musiker, aber es gibt ja noch andere Menschen. 🙂