Oh Mann, bin ich wütend – oder entstetzt – ich weiß gar nicht was genau. Vielleicht eher alarmiert.
Ich fühle mich wie eine Ernährungsberaterin, die ihren Kunden hilft, von Fastfood, Cola und Nutella wegzukommen und dann liest sie in einem populären Magazin einen Artikel, der die Vorzüge von Zuckerkonsum herausstellt. Nein, schreit sie, nein – meine Leutchen lesen das und sie beginnen wieder zu zweifeln, weil dieser ganze Mainstream-Mist so unreflektiert konsumiert wird und danach dann auch wieder der Zucker.
Wovon ich überhaupt spreche? Von Zeichenbüchern. Für Kinder!
Ich blättere ein Buchprospekt durch – war gerade am Briefkasten und habe die Post hoch geholt – mit einem Kaffee am Schreibtisch wollte ich es mir gemütlich machen und diesen Prospekt durchblättern. Ich habe Nichten und Neffen (ähem: Großnichten und Großneffen), denen ich gerne Bücher mitbringe, also interessiere ich mich für Kinderbuchprospekte und was muss ich auf Seite 23 sehen: (ich heule gerade auf) „So lernst du zeichnen – Schritt für Schritt.“ und „Mein großes Schablonen-Malbuch“.
Auf dem Titelbild des ersten Buches sind Raster abgebildet (Raster!) in die Strichfigurenkinder eingepasst sind und der Begleittext sagt: „…vermittelt der Band kleinen Kreativkünstlern (hä? – was ist das denn für ein Wort?)…..im Handumdrehen……..entstehen….aus einfachsten Formen wunderschöne Zeichnungen.“
Das andere Buch wird im Begleittext folgendermaßen beworben: „Die lustigen Schablonen mit bunten Stiften nachzeichnen (!) und ausmalen.“ Nichts gegen Ausmalbücher, aber mit Schablonen?????? Ja, geht´s noch?
Raster und Schablonen? Wirklich?
Ihr gebt euren Kindern Cola und Nutella? Wirklich?
Nachtrag zwei Stunden später: Inzwischen habe ich einige zustimmende Reaktionen von Lesern erhalten, auch auf facebook. Ich will nur noch mal kurz festhalten, dass sich meine Wut nicht auf diese, im Moment so aktuellen Malbücher für Erwachsene bezieht. Ich bin mir noch nicht sicher, was sich davon halten soll, glaube aber, dass sie eine sehr, sehr entspannende Wirkung haben können. Einfach so Stifte übers Papier zu ziehen, ohne zu glauben, einer Erwartungshaltung entsprechen zu müssen, stelle ich mir sehr angenehm vor und ich glaube auch nicht, dass das irgendjemand mit kreativ sein verwechselt.
Was mich wütend macht, ist diese durch Zeichenanleitungsbücher für Kinder verbreitete Meinung, man müsse Kindern „beibringen“, wie sie zu zeichnen hätten, um „richtig“ und „gut“ und „allgemein anerkannt“ zeichnen zu können. Kinder wissen selbst sehr gut, wie sie etwas auf dem Papier darstellen wollen, man muss sie nur lassen und nicht glauben, sie müssten in irgendeiner Weise dazu angeleitet werden – unterstützt und ermutigt, das ja, aber nicht mit einer Kochrezeptartigen Vorgabe.
Laut 3sat sollen diese Bücher der neuste (Auf-)Schrei sein, im Ausland bereits massenhaft verkauft, und die „Künstlerin“, die das ins Rollen gebracht hat verdient sich dumm und dämmlich. Passt in eine Zeit, in der jeder Künstzler sein will, sich für einen hält und doch nur nachäfft, was die Kreativen tun. Das belegen ja die vielen Castingshows – für’s Zeichnen gibt es zum Glück noch keine. ABER, liebe Martina, so weißt Du wenigstens, dass Deine Arbeit sehr wertvoll ist!
Ich danke dir Rolf. Ich glaube, alle, die Künstler sein wollen und die sich dafür halten, sind es tatsächlich, sonst kämen sie gar nicht auf die Idee, es zu sein oder sein zu wollen, und man muss sie unbedingt dabei unterstützen. Traurig ist nur, dass sie vom Mainstream leicht in die Rolle gedrängt werden, zu glauben, es sich und anderen „beweisen“ zu müssen und das ganz schnell und sofort. Das mag der Grund sein, warum man sich kurze (Aus-)Wege sucht, indem man das macht, was alle machen bzw. für gut halten.
Ich kann dich gut verstehen Martina und wäre genauso entsetzt gewesen bzw. bin es, weil es solche Ausmalbücher (Mandalabücher) auch für Erwachsene gibt und von Künstlern/innen noch in ihren Blogs beworben werden. Wenn Kindern die Lust und Neugier am Ausprobieren, selber Gestalten, Fantasiefigurenmalen von vornherein verbaut wird, enden sie dann als Erwachsene bei Ausmalbüchern für Erwachsene und halten es für eine kreative Leistung, wenn sie Raster farblich aus- und nicht über den „Rand“ malen. Manchmal möchte ich eine Riesenkiste mit meinen Malutensilien packen und auf eine einsams Insel ziehen….
Hallo liebe Dagmar, du darfst nicht wegziehen, wir brauchen selbst denkende und selbständige Künstler als Vorbilder, auch die Kinder brauchen sie. Ich finde es auch traurig, wenn man Kindern vorgibt, was und wie sie zeichnen und gestalten sollen. Sie verlieren dadurch ihr Selbstwertgefühl für ihren einzigartigen künstlerischen Ausdruck.
Du sprichst aus meiner Seele mit dem Aufschrei gegen diese Ausmalbücher. Da ich in einer Kindertagesstätte arbeite bin ich damit täglich konfrontiert. Muß allerdings zugeben, daß ich resigniert habe, meinen Kolleginnen zu erklären, doch bitte zumindest in der Kita die Ausmalbildchen wegzulassen….ebenso das Schablonieren…..(Wenn Schablonen, dann doch bitte reine Formen und dann doch bitte daraus etwas frei entwerfen…dann ja!..wie von Maria Montessori empfohlen)
Meine Kolleginnen benutzen die Ausmalbildchen, die es massenweise im Internet zum Herunterladen gibt….zum Thema oder zur Jahreszeit….
Ein richtiger Umgang mit Mandalas wäre rein meditativer Art, den Weg im Bild zur Mitte finden, mit leichter Meditationsmusik im Hintergrund und in einem Raum der Stille…..dann wäre es akzeptabel sich von den Farbenspielereien verzaubern zu lassen. (Aber leider sind die wenigsten da konsequent)
Aber vorgedruckte Ausmalbildchen…….damit das Kind dann denkt es hätte was gemalt…es kann etwas vorzeigen…..grrrrh……ist für die Zeichenentwicklung und Kretivitätsentwicklung absolut kontraproduktiv. Es nimmt gleichzeitig dem Kind das Selbstvertrauen die Zeichnung oder das Malen selbstständig auf dem weißen Papier bewältigen zu können, das Kind sagt dann: “ Ich kann das nicht“ ebenso ist es selbst enttäuscht wenn es mit 3 oder 4 Jahren noch nicht ausmalen kann und von Erwachsenen darauf hingewiesen wird, doch bitte nicht über den Rand zu malen.
Gebt den Kindern doch einfach nur blanke Blätter verschiedenster Art, ob weiß oder einfarbig, ob Packpapier oder Zeichenpapier…..einfach ohne was drauf……………….und lasst doch einfach die Kinder mit verschiedensten Zeichenstiften ob Holz-Wachs-Kohle-Graphit oder Pastell…..experimentieren was das Zeug hält!!!!!!!!!!!!
Im Prinzip fand ich sogenannte Malbücher nicht weiter schlimm, weil ich dachte, das ist für Kinder auf Dauer viel zu langweilig und sie malen dann doch wieder, was und wie sie mögen. Über den Einsatz solcher Ausmalbildchen in Kindertagesstätten als probates Beschäftigungsangebot wusste ich nichts. Mir fällt dazu nix mehr ein. Ich stimme deiner Einschätzung völlig zu.
Hm … Ich fand Malbücher als Kind tatsächlich immer öde und habe sie kaum verwendet. Grundsätzlich würde ich sie nicht verteufeln, es ist aber schade, wenn Kinder und Erwachsene sich von ihnen in ihrer Kreativität ausbremsen lassen.
Ich glaube aber, Martina, Du meintest eher Anleitungsbücher für Kinder, oder? Denen stehe ich auch immer zwiegespalten gegenüber.Einerseits habe ich gemerkt, dass Kinder schon den Wunsch nach Anleitung äußern, aber man muss dabei klar machen, dass dies nur Anregungen und es sich nicht um „Befehle“ im Sinne von „So oder gar nicht“ handelt. Das Problem dabei ist, dass sich dafür wahrscheinlich kaum jemand die Zeit nimmt, beziehungsweise nur ZeichnerInnen dieses Problem überhaupt wahrnehmen.
Es lohnt sich aber sehr, sich die Zeit dafür zu nehmen, denn Kinder wissen das durchaus zu schätzen und sind hinterher um so glücklicher mit ihrem Zeichenerlebnis. Ich habe als Schülerin mal ein Praktikum in einem Montessori-Kindergarten gemacht und die Kinder dort hatten sich gar nicht getraut frei zu zeichnen, weil sie für alles Anleitungen hatten. Es hat eine Weile gedauert, sie zu ermutigen, aber es dann geklappt und es war eine Freude, ihnen dabei zuzusehen.
Ich fürchte auch, Alex, dieses „ich kann das nicht allein“ wird früh und tief eingepflanzt. Für alles gibt es Experten und Fertiganleitungen. Das ist auf der einen Seite praktisch. Wenn ich mir ein Baumhaus bauen wollte, kann ich mich an jemanden wenden und brauche die Grundlagen nicht neu zu erfinden, aber wenn ich das Prinzip „Baumhaus“ nicht verstehen will oder glaube, es nicht verstehen zu können, dann kann ich es nie zu „meinem“ Baumhaus werden lassen, ich traue mich dann nicht, es FÜR MICH NEU zu erfinden. Die meisten von uns wohnen in Häusern, die sie nicht „verstehen“, wir benutzen Technologie, die wir nicht verstehen….Selbst machen, selbst erfinden, selber SEHEN, HIN-sehen wird zu leicht als nicht notwendig abgetan.