Zeichnest du, um etwas zu bekommen oder um etwas zu geben?

Es gibt kaum etwas Schöneres, als für seine Arbeit, für seine Zeichnungen Anerkennung zu bekommen.Rose296
Die Frage ist aber, ist einem die Anerkennung wichtiger als das Zeichnen selbst?

Oft sehnen wir uns so sehr nach Anerkennung, dass wir unsere eigene Persönlichkeit beim Zeichnen nicht zum Zuge kommen lassen. Wir fürchten, wenn wir zeichnen wie wir sind, dafür nicht nur nicht anerkannt, sondern, noch viel schlimmer, abgelehnt zu werden.
Das bedeutet, wir verstellen uns, passen uns an, machen uns klein, verstecken uns – alles, um ja keine Ablehnung zu erfahren und die ganze Zeit glauben wir, wir machen das Richtige.

Ich hatte ein sehr einschneidendes Erlebnis mit meinem Zeichenlehrer in der Akademie.
In meiner Erinnerung ist daraus eine Action-Szene in Zeitlupe geworden.
Ich sehe mich selbst, wie ich zu Boden gehe, weil mich etwas hart getroffen hatte.
Es war Montagmorgen und bevor der Unterricht begann, hatten die Zeichenschüler die Gelegenheit, dem Lehrer die Arbeiten der vergangenen Woche vorzulegen.
Ich hatte den ganzen Sonntag damit verbracht, ein Selbstporträt zu zeichnen. Weil ich nur im Schlafzimmer einen passenden Spiegel hatte, zeichnete ich auf dem Bügelbrett.
Ich benutzte verschiedene farbige Kreiden. Wenn ich in den Spiegel sah, lächelte ich und wenn ich nach unten aufs Papier schaute, biss ich mir vor Anstrengung auf die Lippe, um mein Porträt genauso lächeln zu lassen wie das Gesicht im Spiegel.
Mir tränten schon die Augen. Ich wollte so sehr, dass es gut wird. Ach was, gut. Die Zeichnung sollte umwerfend werden.
Sie wurde gut – im konventionellen Sinn und ich war ziemlich begeistert.
Ich konnte es kaum erwarten, sie endlich dem Lehrer und der Zeichenklasse zu präsentieren.
Wie erhofft, hörte ich dann auch von den Umstehenden ein mehrstimmiges Oh und Ah, als ich die Zeichnung aus der Mappe nahm und sie vor dem Lehrer auf den Tisch legte.
Er blickte darauf und sagte lange Sekunden gar nichts.
„Ist das nach einem Foto gezeichnet“, fragte er schließlich, in einem für meinen Geschmack viel zu wenig enthusiastischen Tonfall.
Ich wusste nicht, ob ich geschmeichelt oder beleidigt sein sollte und spielte sicherheitshalber die Empörte, als ich verneinte.
Und dann hob er den Arm und holte aus – er tat es nicht wirklich, sondern nur im Film meiner Erinnerung, die sich nachträglich ein paar Special Effects dazu erfunden hat.
„Frau Wald“, sagte er, „hören Sie doch endlich auf, gefallen zu wollen.“
In diesem Moment traf mich ein Schlag mitten ins Gesicht und das, was er soeben gesagt hatte, dröhnte mir in den Ohren.

„Hören Sie doch endlich auf, gefallen zu wollen.“

Äußerlich hatte ich mich nicht bewegt. Ich stand da und hielt mich mit den Händen am Tisch fest, aber innerlich ging ich in die Knie.
Ich fühlte mich durchschaut, bloß gestellt und zutiefst beschämt.
Ich selbst hatte mich plötzlich durchschaut und was ich sah, gefiel mir nicht.
Das war eigentlich schon alles. Mehr war nicht geschehen. Ich packte meine Zeichnung weg, jeder ging an seinen Platz und der Unterricht begann.

Aber mit dem Satz „Hören Sie doch endlich auf, gefallen zu wollen“ flog ich aus meinem Wolkenkuckucksheim.

Selbstverständlich hatte ich mit meinen Zeichnungen ausschließlich gefallen wollen.
Bis dahin gab es für mein Zeichnen überhaupt keine andere Motivation, aber mir selbst war das nicht bewusst gewesen.
Auf die Idee, etwas freiwillig zu zeichnen, das nicht jedem gefallen sollte, war ich noch nie gekommen, denn ich benutzte – nein, ich missbrauchte das Zeichnen, um Anerkennung zu finden.
Ich wollte gefallen. Mehr war da nicht.
Diese Erkenntnis tat weh.


Ich hatte ausschließlich gezeichnet, um zu bekommen und nicht, um zu geben. 


Aber genau darum geht es. Als Künstler hat man etwas zu geben, was andere brauchen. Künstler bringen ihren Eindruck von der Welt zum Ausdruck, was wiederum die Welt anderer Menschen bereichert. Wir werden gebraucht. Du wirst gebraucht. Keine Stimme darf fehlen.

Das, was mein Lehrer damals in mir erkannte, sehe ich heute bei vielen Zeichnerinnen und Zeichnern.

Viele gehen beim Zeichnen auf Nummer sicher.
Sie lassen sich vom oft sehr engen Erfahrungshorizont der Menschen ihres persönlichen Umfeldes begrenzen und trauen sich nicht, diese Grenzen zu überschreiten.
Das „gefallen wollen“ steht an erster Stelle, wenn sie etwas zeichnen, malen oder gestalten, weil sie glauben, das, was sie tatsächlich zu geben hätten, ist wertlos.

Die Anerkennung, die man für diese Art von Kunst erhält, hat immer einen faden Beigeschmack. Man spürt, dass man nicht selbst gemeint ist und nur für das „brav sein“ gelobt wird, für die Rolle, die man spielt.
Und die Menschen, die man beeindrucken will, und die vielleicht ein freundliches Lob aussprechen, sind auch gar nicht wirklich beeindruckt. Sie sind nicht tief berührt oder fühlen sich persönlich angesprochen. Das können sie auch nicht sein, denn es wurde ihnen nicht mehr als die leere Hülle einer Zeichnung gegeben, nichts wirklich Persönliches und Wertvolles.

Man hat erst die Chance mit seinem künstlerischen Ausdruck zu beeindrucken, wenn es einem egal ist, ob und wen man beeindruckt. Denn nur ein unverfälschter Ausdruck, der keinen Anspruch hat gefallen zu wollen, kann tatsächlich beeindrucken.

Deshalb ist es so wichtig beim Zeichnen und Malen die eigenen Grenzen, die man sich nur allzu oft von anderen definieren lässt, zu überschreiten und das Risiko einzugehen, eben NICHT zu gefallen.

Unzufriedenheit mit sich selbst, mit der eigenen Arbeit, mit seinem angeblichen nicht Vorankommen, ist eigentlich nur ein Zeichen, dass man etwas von sich verlangt, das an sich wertlos ist, nämlich das Gefallen wollen.

Wenn man tatsächlich das Risiko eingeht, mit seinen Zeichnungen niemandem gefallen zu wollen, passiert etwas Unangenehmes:

Sie gefallen nicht allen.

Wenn man sich mit seinen Arbeiten an die Öffentlichkeit traut – das erfordert Mut – wird es auch immer Menschen geben, die einem genau das sagen. Davon darf man sich aber nicht beeinflussen lassen. 

Man muss lernen, das auszuhalten und zu akzeptieren, dass man nicht ständig „everybody´s Darling“ sein kann.
Das künstlerische Selbstbewusstsein darf nicht von irgendwelchen bedeutungslosen Meinungsäußerungen abhängig sein.

Jeder Künstler, jede Künstlerin hat etwas zu geben, was andere dringend brauchen.

Deshalb machen wir Kunst.
Und manchmal bekommen wir etwas dafür zurück.

2 Gedanken zu „Zeichnest du, um etwas zu bekommen oder um etwas zu geben?

  1. Den Text fand ich schon sehr stark, als Du ihn in Deinem Magazin geschickt hast. Er regt wirklich zum Nachdenken und Hinterfragen an. Komplimente für die eigenen Bilder können beflügeln, aber man läuft Gefahr sich davon eingrenzen zu lassen.

    Mein Lösungsversuch ist, dass ich versuche eine Zeichnung erstmal nur für mich zu fertigen und diesen Vorgang zu genießen. Später entscheide ich, ob, wem und wo ich sie zeige. Seit ich Deinen Text gelesen habe, überlege ich auch manchmal, ob die Motivation für ein bestimmtes Bild wirklich aus aus mir heraus kommt oder aus einem Wunsch nach Anerkennung. Erfreulicherweise habe ich aber auch die Erfahrung gemacht,dass Bilder, bei denen ich unsicher war, ob sie überhaupt jemandem gefallen, doch oft waren es gerade diese Bilder, die positive Reaktionen hervorriefen. Seitdem bin ich mutiger.

    Das Gegenteil ist natürlich auch schon passiert, aber das Risiko muss man eingehen.Vor allem, weil es in solchen Fällen tatsächlich genau so ist, wie Du sagst: Wenn eben diesen Leuten doch mal ein Bild gefiel, war es ein schales Gefühl, es fühlte sich tatsächlich so an wie, „ja, ja,ganz nett.“ Mit zunehmender Zeichenerfahrung und auch mit Deiner Hilfe <3, habe ich irgendwann davon Abstand genommen, mich nach diesen Urteilen zu richten.

    Danke für Deine Texte 🙂

    • Ich finde es auch immer wieder erstaunlich, dass ich auf Zeichnungen, die ich selbst so „naja“ finde, positive Reaktionen erhalten und umgekehrt. Was beweist: Der Künstler hat zu „machen“, alles andere gehört nicht zu seinem Aufgabengebiet. 🙂

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