Vor einiger Zeit schrieb mir eine Künstlerin, die sich „autodidaktisch“ fortbildet, sie habe ihre Arbeiten „mit bangem Herzen“ einem Dozenten einer Kunstschule gezeigt.
Er knallte ihr so etwas entgegen wie „lernen Sie erst mal zeichnen“.
„Ihr Traum“, dass in ihr eine „verkannte Künstlerin schlummert“, so schreibt sie, „sei erst mal ausgeträumt.“
Sie habe nun angefangen Zeichnen zu üben was das Zeug hält, aber mit jedem Tag würde alles nur noch schlimmer werden.
Ihre Zeichnungen würden immer „dilettantischer“ und „schwächer.“
Wenn ich so etwas lese, zieht sich mir mein Herz zusammen.
Was für eine große Traurigkeit, was für ein Schmerz. So unnötig.
Folgendes habe ich ihr geantwortet:
Ach, meine liebe L., was machst du es dir so schwer? Und wofür? Damit dir irgendwann irgendein Dozent sagt:
„Aber Hallo, Frau L., Sie sind ja eine Künstlerin! Herzlichen Glückwunsch.“
Ich weiß, das hört sich nicht sehr nett an. Aber ich sage es, weil ich, genau wie du, viel zu lange dachte, jemand anderes hätte darüber zu entscheiden, ob ich eine Künstlerin bin oder nicht. Wer viel fragt, bekommt viel geantwortet.
Die Antworten haben selten etwas mit dem Fragenden zu tun, sondern meistens nur mit dem, der die Antwort gibt.
Mit der Antwort „erst mal zeichnen lernen“ bist du noch gut weggekommen. Es hätte schlimmer sein können.
Der Dozent hätte an diesem Tag auch gerade Bauchweh haben können und dann hätte er vielleicht gesagt:
„Um Gottes willen, ihr Zeug ist ja grauenvoll, nehmen sie nie mehr einen Pinsel in die Hand.“
Womöglich hättest du ihm geglaubt. Das mag man sich gar nicht vorstellen.
Wie du ja selbst sagst, du glaubst, in dir könnte eine „verkannte“ Künstlerin stecken.
Wenn hier irgendjemand dich „verkennt“, dann bist nur du selbst es.
KEIN Mensch, in dem KEIN Künstler steckt, denkt sich: Ach, wer weiß, vielleicht steckt ja ein verkannter Künstler in mir.
Nein, nein. Nur diejenigen, denen das Künstlersein FEHLT, die sich danach SEHNEN einer zu sein, nur diese sind Künstler.
Das Künstlersein erkennen, es also nicht zu „ver-kennen“, das musst du selbst tun, das kann keiner für dich übernehmen.
Ich bin die Letzte, die jemandem sagen würde, hör auf zu zeichnen.
Ich sage dir aber:
HÖR AUF, ZEICHNEN ZU LERNEN.
Stattdessen mach´ was ganz anderes:
ZEICHNE! Fange an zu zeichnen.
Mach´ dich auf den Weg, DEIN Zeichnen zu ENTDECKEN.
Sei bereit, DEIN Zeichnen schätzen zu lernen und kennenzulernen.
Du wirst dann erleben, wie du zeichnen musst, damit es sich für dich gut anfühlt, was du ausprobieren willst, was du magst und was nicht.
Ganz wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass es beim Zeichnen nicht darum geht, der Erwartungshaltung anderer zu entsprechen. Denn ist es nicht genau diese Erwartungshaltung, die einen überhaupt dazu bringt, dieses Zeichnen „lernen“ zu wollen, wie „man“ es eben zu lernen hat? Eine Erwartungshaltung, die man nur allzu leicht mit der eigenen verwechselt, weil man sich doch auch in anderen Lebensbereichen, ganz unbewusst, daran gewöhnt hat, seine eigenen Vorstellungen und Ideen, nach dem Erfahrungs- und Vorstellungshorizont anderer auszurichten. Vielleicht bist du so wütend und ungeduldig mit deinen Zeichnungen, weil sie etwas sein sollen, was sie nicht sein können.
Sehr wahrscheinlich willst du Zeichnungen machen, die so aussehen, als seien sie von jemand anderem. Aber auch wie dieser „andere“ zeichnet, weißt du gar nicht so genau und deshalb weißt du auch nicht genau, wie deine Zeichnungen aussehen sollten, damit du sie akzeptieren könntest.
DEINE Zeichnungen werden aber immer so aussehen wie DEINE Zeichnungen.
Deine Zeichnungen werden sich im Laufe deines Zeichnens, während du immer mehr Erfahrungen sammelst im Zeichnen, verändern, aber sie werden immer so aussehen, wie deine.
Und genau so muss es sein.
Die Welt interessiert nicht, wie du zeichnest, wenn du versuchst, wie jemand anderes zu zeichnen.
Die Welt will sehen, wie du zeichnest, mit allem Drum und Dran, mit allem Dilettantismus und aller Genialität. Und beides ist untrennbar miteinander verbunden.
In deinem „Dilettantismus“ kann ich deine Genialität erkennen.
Und Gott bewahre mich davor, dass ich dann versuche, so zu zeichnen wie du, weil ich deine Zeichnungen so genial finde.
Und noch was: Hör auf Künstlerin sein zu wollen. Das bist du schon längst.
Du bemühst dich etwas zu werden, was du schon längst bist.
Und zwar unabhängig davon, ob du oder jemand anderes gut oder anerkennenswert findet, was du machst. Du verbrennst deine Energie an der falschen Feuerstelle.
Kaum etwas steht dem Kunstschaffenden mehr im Weg, als der Wille Kunst schaffen zu wollen.
Aus dem Machen entsteht die Kunst, nicht aus dem Wollen –
aus dem gleichgültigen Zeichnen, aus dem gleichgültigen Malen, aus dem gleichgültigen Gestalten.
Der Kunst ist alles, was du tust, gleich gültig, alles ist ihr gleich viel wert.
Wenn du deine Kunst zulässt, geschehen lässt, dann BIST du eine Künstlerin. Zeichne, male, sei DU selbst.
„Das Künstler-Sein erkennen, (…) das musst du selbst tun, das kann keiner für dich übernehmen.“ Wunderbar!
Danke schön!!!!
Gerne.
Obwohl ich diese Entdeckung nun schon so oft gemacht habe, verblüfft sie mich immer wieder: wie identisch, zumindest ähnlich deine Erfahrungen beim Zeichnen denen sind, die ich beim Schreiben gemacht habe, bzw. bei der Unterstützung anderer dabei … Viele herzliche Grüße!
Ja, es geht halt auf diesen Gebieten immer zuerst um den „mindset“. Leider ist mir dafür noch kein passendes deutsches Wort eingefallen. „Innere Einstellung“? Ist zu umständlich.