Zeichnen ist nicht gleich Zeichnen. Es gibt so viele unterschiedliche Zeichenarten, wie es Zeichner gibt.
Es gibt z. B. Zeichnerinnen und Zeichner, die in wenigen Minuten ganz viele Zeichnungen machen und es gibt Zeichner, die stundenlang an einer einzigen Zeichnung sitzen.
Warum also sollte ein geborener Schnellzeichner sich genötigt fühlen, langsam zu zeichnen und ein langsam arbeitender, detailverliebter Zeichner dazu, die Striche nur so aufs Papier zu werfen, wie es die schnell zeichnende Kollegin gerne macht?
Ich weiß es nicht, aber genau das passiert immer wieder.
Und wer nötigt die armen Zeichner, so gegen ihre Natur zu handeln?
Gibt es etwa böse Zeichen-Aufseher, die herumlaufen und den Zeichnern befehlen, was sie zu tun und zu lassen haben?
Nein, das wohl eher nicht. Aber es sind die Zeichner selbst, die glauben, genau das von sich verlangen zu müssen, was ihnen einfach nicht liegt.
„Wenn ich ein richtiger Zeichner, eine richtige Zeichnerin sein will, muss ich alle Zeichenstile beherrschen. Ich darf mich nicht immer nur an meiner eigenen Art des Zeichnens erfreuen, weil sie mir viel zu leicht von der Hand geht“, denkt so mancher Zeichner, bevor er sich mal wieder durchgerungen hat, zu üben so zu zeichnen, wie es ihm am schwersten fällt.
In dieser Denkweise stecken zwei Mythen übers Zeichnen, die sich in den Köpfen und Herzen vieler Zeichner festgesetzt haben.
Mythos 1:
Wenn einem das Zeichnen leicht fällt, ist es nichts wert. Nur das mit Mühe und mit Schweiß Errungene ist für einen selbst und für diejenigen, deren Meinung einem wichtig ist, akzeptabel.
Mythos 2:
Solange man nicht sämtliche bekannten Zeichenstile und Zeichentechniken im Schlaf und aus dem Eff Eff und auf einem Bein stehend mit verbundenen Augen beherrscht, braucht man gar nicht erst auf den Gedanken zu kommen, jemals etwas Anerkennenswertes und Bedeutungsvolles schaffen zu können und schaffen zu dürfen(!).
Unter solchen Vorrausetzungen zeichnet es sich nicht leicht und locker und mit Freude schon gar nicht.
Wenn du dir nicht sicher bist, welche Art des Zeichnens für dich gerade die richtige ist, empfehle ich dir, ein bisschen herumzuprobieren, und zwar mit verschiedenen Stiften und /oder Motiven und/oder Orten, an denen du zeichnen willst.
Und dann beobachte dich und höre und fühle in dich hinein.
Fühlt sich dein Herz leicht oder schwer an?
Hörst du dein Herz singen oder ist es ein stummer Stein?
Trällert dein Herz und fliegt fast davon, weil es sich so leicht und glücklich fühlt oder zieht es dich buchstäblich herunter?
Bei welcher Art des Zeichnens du dann, zumindest für eine Weile, bleiben solltest, muss ich dir, glaube ich, nicht sagen.
Lass nicht zu, dass dir das Zeichnen zur Last wird.
Erlaube dir, so zu zeichnen, wie es dir leicht fällt.
Lass dein Herz beim Zeichnen singen!