Selbstvergessenes Zeichnen

Das zeichnende Sehen ist ein Hinschauen, das sich nichts einprägen will, das sich an nichts erinnern will, ein Hinschauen, dem nur das JETZT gesehene, das jetzige Sehen etwas gilt.

Man mag sich dann sehr genau an das Sehen selbst erinnern, man erinnert sich an das Gesehen haben, aber als eine Erinnerung, die nicht zurück in die Vergangenheit führt, sondern als eine Erinnerung an, im Sinne von Mahnung an, jetzt wieder hinzuschauen, um sich dann wieder an das Gesehene selbst, sich nicht zu erinnern.

Wenn man sich an etwas Gesehenes erinnert, erinnert man sich doch nur an sich selbst plus an das Gesehene und nicht an das Gesehene ohne sich selbst, was ein völlig anderes ist.

In der Erinnerung steht man immer selbst mit im Bild und sich im Weg, also vor den Augen.

Sich ohne einen Gedanken, also sich ohne sich selbst zu erinnern, ist kaum möglich.

Deshalb erinnert man sich ja überhaupt, weil man sich etwas dabei gedacht hat und das Selbst ist in den Gedanken immer dabei.

Gedankenloses Sehen gelingt nur für einen Moment und dann wieder für einen Moment.

Wenn man nicht denkt, ist man für sich selbst verschwunden.

Wahrscheinlich ist es deshalb so leicht, sich vor dem gedankenlosen und wortlosem Sehen zu fürchten und ihm nicht zu vertrauen.

Aber erst, wenn man für sich selbst verschwindet, ist auch niemand mehr da, der einem vor den Augen steht. Dann ist der Blick frei, ist also unverstellt.

Dann wird das Hinschauen zu einem erwartungslosen und wunschlosem Sehen. Im JETZT.

Im JETZT entstehen vom Sehen inspirierte Zeichnungen, Zeichnungen, an deren Entstehung man sich womöglich nicht erinnert.

2 Gedanken zu „Selbstvergessenes Zeichnen

  1. Liebe Martina, diesen Text musste ich drei mal lesen und glaube, ihn nun zu verstehen. Er klingt plausibel, Wenn überhaupt ist mir gedankenloses Sehen selten gelungen, habe es nie bewusst angestrebt. Durch drei Kurse von Dir animiert und tägliche Übung fällt es mir zunehmend leichter, zu zeichnen ohne aufs Blatt zu schauen. Nach meinem Gefühl kann ich durch mehr Konzentration auf das Objekt leichter ins gedankenlose Zeichnen kommen.

    Liebe Grüße
    Hans

    • Vielen Dank, Hans, fürs dreimal lesen. Und das meine ich nicht ironisch. Ich weiß, dass dieser Text sperrig ist und normalerweise veröffentliche ich solche Texte nicht. Diesmal aber war mir der Inhalt wichtiger als leichte Verständlichkeit.

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