…und nicht wie eine Blume oder eine Landschaft.
Eine Zeichnung sieht auch dann immer aus wie eine Zeichnung, wenn wir glauben, darauf eine Blume oder eine Landschaft zu erkennen.
Oft erlebe ich, dass Zeichner anstreben genau und richtig zu zeichnen, weil sie glauben, nur dann würden sie gut zeichnen.
Genau und richtig bedeutet dann, es soll so aussehen wie…..
eben – genau wie diese Blume oder genau wie diese Landschaft.
Nur: wie genau das Genaue genau sein soll, bleibt unklar. Deshalb wird jede Zeichnung, die nicht exakt dem Gegenstand gleicht, als ungenügend empfunden.
Mit nichts ist man zufrieden, weil man irgendwo im Hinterkopf glaubt, zeichnen sei so etwas wie „nach-machen“, und wenn man glaubt, man soll etwas nachmachen, ist die Aufgabe eben erst erfüllt, wenn das Nachgemachte genau der Vorlage entspricht.
Vor einigen Jahren wollte ich einem Freund für seine neue Wohnung eine Zeichnung schenken. Damals hatte ich noch nicht viel Erfahrung im Zeichnen.
Ich wollte Zitronen zeichnen und arrangierte eine ganze und zwei halbe Zitronen auf einem Teller, legte noch ein Kräuterzweiglein dazu und das sollte die Vorlage zu meinem Bild sein.
Ich zeichnete und zeichnete, aber es wollte nichts werden.
Es wollte einfach nicht so aussehen wie diese Zitronen und das Kräuterzweiglein.
Was ich auch zeichnete, am Ende sah es nie „echt“ aus, es sah immer nur so aus wie gezeichnete Zitronen.
Da ich kaum Erfahrungen hatte mit meinen eigenen Zeichnungen und ich nicht so genau wusste wie Zeichnungen, die von mir gezeichnet waren, aussehen, hielt ich automatisch jede Zeichnung für ungenügend.
Ich war enttäuscht, dass ich nicht in der Lage war, diese Zitronen exakt wiederzugeben.
Wahrscheinlich wäre ich erst zufrieden gewesen, wenn sich zwei echte Zitronen vor meinen Augen auf dem Tisch materialisiert hätten, denn nur diese hätten dem Vergleich mit der Vorlage stand gehalten.
Oft werden die eigenen Zeichnungen nicht geschätzt, weil sie genau so aussehen: wie Zeichnungen.
Sie sehen so aus, als seien sie eben „nur“ gezeichnet, und dann womöglich auch nur so, als ob man es selbst gezeichnet hat und nicht irgendwie….irgendwie…ja, wie denn? Halt anders eben.
Wer zeichnet sollte sich von dem Gedanken frei machen, etwas re-produzieren zu wollen oder zu sollen.
Wer nur reproduzieren möchte, sollte lieber einen 3-tägigen Zauberkurs für Anfänger besuchen.
Beim Zeichnen wird nicht nach-gemacht, beim Zeichnen wird nach-empfunden.
Auch die fotorealistischste, nach allen „Regeln“ der Zeichenkunst gefertigte Zeichnung wird am Ende niemand mit dem Gegenstand selbst verwechseln, denn sie ist und bleibt eben nicht mehr als eine Zeichnung.
Was nicht heißen soll, dass eine Zeichnung weniger wert ist als der gezeichnete Gegenstand.
Im Gegenteil:
Eine Zeichnung sollte gegenüber dem gezeichneten Gegenstand immer einen Mehr-Wert haben.
Der Mehr-Wert deiner Zeichnung ist dein ganz besonderer Blick und dein ganz besonderes Gespür für den Bildgegenstand.
Dieser besondere Blick und dieses besondere Gespür machen deine Zeichnung unverwechselbar und wertvoll.
Selbstverständlich können auch sehr realistisch anmutende Zeichnungen, die tatsächlich „fast so aussehen wie…“, wertvoll sein, solange sie nicht gefertigt wurden, um ausschließlich „richtig“ zu sein.
Zeichnungen, die gemacht wurden, um ‚richtig‘ zu sein, sieht man das immer an.
Entweder können sie die hineingelegte Anstrengung nicht verbergen und der Betrachter sieht, dass an ihnen irgendetwas nicht stimmt, weil das unmögliche Ziel „Perfektion“ verfehlt wurde oder sie sind so sehr annähernd perfekt, dass der Betrachter zwar verblüfft sein mag über die nahezu perfekte Zeichnung und die vermeintliche Perfektion bewundert, nicht aber die Zeichnung selbst.
Sobald ein Betrachter sagt: „Mensch toll, das ist ja täuschend echt, wie hast du das nur gemacht“, weißt du, dass es ihm nicht möglich war, mehr in der Zeichnung zu sehen, als eben das Abgebildete. Er bewundert nur die, für ihn verblüffende Zeichentechnik, nicht aber den Inhalt und den eigenständigen Wert deiner Zeichnung.
Zeichner, deren einziges Ziel ist fotorealistisch zu zeichnen, merken vielleicht gar nicht, dass sie da an einem langweiligen Wettbewerb teilnehmen, nämlich wer kann am besten kopieren. Abgesehen davon ist dieser Wettbewerb absurd, denn mit Zeichnen kann man auch mit der größten Mühe nichts kopieren.
Nichts kann so gezeichnet werden, dass es mit einem originalen Gegenstand verwechselt werden könnte.
Mit Zeichnen kann man „leider “ nur Neues erschaffen, aber merkwürdigerweise ist das vielen nicht genug.
Wer zeichnet, nur um „wie in echt“ zu zeichnen, hat sich ein kleines Ziel gesteckt und wird es vielleicht trotzdem vor lauter Frustration und Langeweile nicht erreichen.
Wer aber bereit ist, sich schon von Anfang an mit Offenheit und Experimentierfreude auf den Weg zu machen, der wird nicht aufhören Neues zu entdecken und vor allem zu erleben.
Eine Zeichnung ist immer etwas völlig Neues, eine neue Kreation, keine Wiederholung, keine Kopie.
Deine Zeichnung ist immer deine Zeichnung und genau das soll man sehen.