Wie der interessante Kick aufs Blatt kommt

verdrehte Haende1Immer wieder erreichen mich Fragen per Email oder über Facebook von Zeichnerinnen und Zeichnern, die mit ihrem Zeichnen aus irgendeinem Grund nicht mehr weiterkommen.

Meistens fallen meine Antworten etwas länger aus, weil ich aus eigener Erfahrung wirklich mit ihnen fühlen kann.
Man fühlt sich von seinem Umfeld nicht nur nicht unterstützt, sondern geradezu gehemmt.

Von überall her bekommt man Kommentare, Vorschläge und Empfehlungen, die einen sehr verunsichern, wenn man mit seinem eigenen künstlerischen Ausdruck noch nicht so viel Erfahrung hat.

Falls du mich schon ein bisschen kennst, weißt du, dass ich glaube, dass das, was andere interessant finden wollen, uns ganz besonders NICHT interessieren sollte, aber, und das ist das Interessante, genau dann kommt der „Kick“ auf´s Blatt, ob es nun jemanden interessiert oder nicht

Im Folgenden die Antwort auf eine Nachricht einer Künstlerin, der man gesagt hatte, ihren Arbeiten fehle der interessante Kick

 

Liebe E.,

 jemand sagte dir, dass deine Bilder ja gar nicht so schlecht seien, aber es fehle ihnen der Kick, um interessant zu wirken.

Jetzt, so schreibst du, fehle dir der Mut weiterzumachen.

  Ja, das kann ich mir gut vorstellen, dass so eine Aussage nicht gerade aufmuntert.

Aber egal, wer, was, wann und wie gesagt hat und egal, wie du dich jetzt gerade fühlst, lass dich auf keinen Fall von diesen negativen Gedanken und Gefühlen davon abhalten, deine künstlerische Arbeit fortzusetzen.

Diese Worte, Gedanken und Gefühle werden vorbei gehen und sie sind es nicht wert, deswegen deine Arbeit zu vernachlässigen oder zu verzögern.

Okay?

 Gut. Das war das eine.

Jetzt möchte ich dir noch etwas sagen:

 Um ein „interessantes“ Bild zu malen oder zu zeichnen, kann man sich nicht aus-denken, was man tun könnte, um es interessant zu machen.

Ein interessantes Bild muss man geschehen lassen.

 So ein interessantes Bild kann dann geschehen, wenn du nicht mehr daran denkst, dass du ein interessantes Bild machen willst.

 Das hört sich absurd an? Ist es aber nicht.

Lass es mich dir erklären.

 Für einen Betrachter – und es war ja so ein Betrachter, der sich quasi beschwert hat, deinen Bildern fehle der interessante Kick – für einen Betrachter wirkt ein Bild dann interessant, wenn er etwas darauf sieht, was ihm neu und unbekannt ist, wenn er eine ungewöhnliche Sichtweise gezeigt bekommt.  

 Für so einen Betrachter mag es unerklärlich sein, wie so eine, für ihn ungewöhnliche Sichtweise zustande kommt und es mag ihm sogar schwierig erscheinen, sie zu erschaffen.

Aber für dich, als Künstlerin, ist es in Wirklichkeit gar nicht schwierig, weil du dich, um eine, für andere ungewöhnlich erscheinende Sichtweise zu gestalten, gar nicht anstrengen musst.

 Deine Sichtweise ist grundsätzlich ungewöhnlich und einzigartig, weil du ein einzigartiger Mensch bist.

 Aber:

viele, und du vielleicht auch, trauen sich nicht ihre eigene Sichtweise tatsächlich auf´s Bild zu bringen, weil man sich durch diese ganz unverhüllte Darstellung sehr verwundbar macht.  

 Sich so konsequent unverstellt in seinen Bildern zu präsentieren, kann mindestens so beängstigend sein, wie im öffentlichen Schwimmbad nackt zu baden.

Man verbirgt nichts mehr, und allen steht es frei, ihren Kommentar abzugeben und alles, was sie sehen, zu bewerten.

 Diese Bewertungen fallen nicht immer positiv aus und sind auch nicht immer nett formuliert.  

 Wenn das mal nicht beängstigend ist.  

Aber erst dann, wenn deine Kunst nicht immer allen gefällt, nicht überall gut ankommt, nicht von allen hoch gelobt wird, erst wenn du merkst, dass es Menschen gibt, die mit deinen Bildern nicht nur nichts anfangen können, sondern sie geradezu ablehnen, kannst du sicher sein, dass du auf DEINEM Weg bist und DEINE Kunst machst. 

 An dieser Stelle kommt jetzt der Mut ins Spiel.

Du hast ja schon ganz richtig gesagt, es fehle dir der Mut weiterzumachen.

Das ist verständlich.

Künstler sein bedeutet nämlich auch, immer und immer wieder mutig sein.

Mut ist nichts, was man hat, wenn einen plötzlich alle toll finden oder wenn man irgendwann mal keine Angst mehr hat.

Mut ist, wenn man etwas tut, obwohl man Angst hat.

 Ich weiß nicht, in welchem Medium du arbeitest und in welchem Genre, aber unabhängig davon, mache ich dir folgenden Vorschlag:

 Lerne deine eigene Sichtweise, deinen eigenen Ausdruck, also deinen ganz eigenen „Kick“, erstmal für dich alleine kennen.

Zeichne in der Natur und nach der Natur (auch wenn du vielleicht sonst abstrakt malen solltest, das macht gar nichts) und zwar ohne davon auszugehen, dass du diese Zeichnungen irgendwann mal jemanden anschauen lässt.

Sobald du merkst, du willst ausschließlich „richtig“ und „korrekt“ zeichnen, weißt du, dass du mal wieder versuchst, deine eigene Sichtweise zu ignorieren.

Lass deine Hand zeichnen, nicht deinen Kopf.

 Lass deine Hand machen, was sie will, ohne dass sie von dir, wie von einem Sicherheitsdienst, immer wieder in ihre Schranken verwiesen wird.

 Lass deine Hand frei.

 Sei lieb zu deiner Hand und sei lieb zu deinen Zeichnungen.

 Wenn du eine Weile so gezeichnet hast und ein oder zwei Skizzenbücher gefüllt sind (denke daran, sie werden niemandem gezeigt, sie sind so privat wie dein Tagebuch), wirst du überrascht sein, wie besonders deine Ausdrucksweise ist und dass sie immer besonders und somit grundsätzlich interessant ist – und zwar für DICH. 

 So machst du dich vertraut mit deinem eigenen, unvergleichlichen Blick, mit deiner Sichtweise und du gewöhnst dich daran, sie mutig auf dem Papier zum Ausdruck zu bringen.  

 Jetzt  werden deine Bilder immer interessant, auch für andere.

Aber was andere dazu zu sagen haben, ist dann wiederum nicht mehr wirklich interessant für dich, denn du bist dabei zu lernen, dir selbst zu vertrauen und nur auf dich selbst zu hören.

 Deine Bilder entstehen jetzt ganz von alleine und ohne, dass du dir vorher etwas ausgedacht hast und ohne extra etwas dafür tun zu müssen, immer mit einem – sozusagen –  vorinstallierten „Kick“.

2 Gedanken zu „Wie der interessante Kick aufs Blatt kommt

  1. Liebe E.,
    Diejenige oder Derjenige welche den „Kick“ vermissen, haben vermutlicn nicht mal genug Mut fürs Ausmalbuch gehabt. Drübermalen war da nicht erlaubt.
    Drübermalen IST erlaubt und natürlich auch alles Andere. Krumme Linien, zittrige Kreise, falsche Farben: Alles egal.
    Das Wichtigste hat Martina schon geschrieben. Sei einfach lieb zu Deiner Hand und verzeihe ihr, wenn sie partout nicht das machen will was Du erwartest. Lehn Dich zurück und lass Dich überraschen.

    Grüsslen von Ben, der sich grad im sonnigen Spanien zurücklehnt ☺

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